„Jetzt geht es mehr darum, gute Laune zu vermitteln"

Interview mit Tatiana Kosterina in der Zeit der Beschränkungen durch die Corona-Krise
Bielefeld, 03.05.2020


Der Reitsport ist wegen der Corona-Krise zum Erliegen gekommen. Die großen Turniere sind ebenso abgesagt wie die kleinen Wettbewerbe auf dem Lande. Die Menschen leben mit Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht und Abstandsregeln. Wie ist der Alltag einer hocherfolgreichen Berufsreiterin von der Krise geprägt? Tatiana Kosterina gibt Auskunft.


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Training in Zeiten der Corona-Krise: Viel Platz auf dem Platz

Euer letztes Turnier war der Signal-Iduna Cup in Dortmund Mitte März. Das Turnier konnte nicht regulär beendet werden. Wie hast du den Abbruch des Turniers in Dortmund erlebt?
Ich habe am Sonntag morgens gegen 09:30 ein Gespräch gehört, in dem gesagt wurde, dass um 10:00 Uhr alles geschlossen werde. Das habe ich erst nicht richtig verstanden. Wird das Turnier etwa abgesagt? Ich habe dann im Internet nachgeschaut. Da befand sich die Starterliste noch auf der Seite des Veranstalters. Ich habe mich dann weiter auf den Start vorbereitet, Dia eingeflochten, bandagiert und gesattelt und mich selbst fertig gemacht, Stiefel und Frack angezogen. Dann bekam meine Nachbarin Agathe van der Lei aus Holland, die direkt vor mir starten sollte, einen Anruf. Sie zeigte mir gekreuzte Finger. Es war soeben alles abgesagt worden. Also alles zurück. Sattel herunter, Gamaschen ab, Dia zurück in die Box, Frack ausziehen, zusammenpacken.

Das war sehr schade. Wir hatten alle Chancen, im Special besser zu reiten. Es war der zweite Turniertag in der Westfalenhalle und Dia hatte sich schon an die Verhältnisse gewöhnt. Ich hatte die Hoffnung, dass sie nicht guckt und keine Patzer wegen der Umgebung macht.

Welche Einschränkungen gelten während der Corona-Krise im Reitstall?
In Ställen, die sehr klein sind und wo es schwerfällt, die Abstandsregel einzuhalten, ist der Betrieb fast vollständig eingestellt worden oder kann nur bei Einhaltung sehr strengen Regeln fortgesetzt werden. Bei uns ist es so, dass wir sehr breite Stallgassen haben und viel Platz zum Reiten im Gelände, zwei Außenplätze, zwei große Hallen. Reitbetrieb ist eingeschränkt möglich. Im Internet kann man sich in Listen für Reitzeiten eintragen. In einer Stallgasse dürfen nicht mehr als vier Menschen gleichzeitig laufen, mit Abstand natürlich. Jedes Pferd darf maximal zwei Stunden pro Tag geritten oder bewegt werden. Ich selbst arbeite als Berufsreiterin den ganzen Tag und muss eine ganze Reihe von Pferden bewegen, bin also ständig da. Ich richte mir das Reiten so ein, dass ich den Platz nutze, der frei ist. Da wir hier so viel Platz haben, ist das kein Problem. Gruppenunterricht findet nicht mehr statt.

Welche Einschränkungen schmerzen dich besonders?
Im Stall merke ich fast gar keine Einschränkungen. Ich muss sagen, dass ich in einer privilegierten Situation bin. Außerhalb müssen wir jetzt beim Einkaufen oder an der Tankstelle Masken tragen. Die vergesse ich gerne im Auto. Die Maske nervt ein wenig – ehrlich gesagt. Es muss aber sein.

Wie trainierst du in der Krise dein Spitzenpferd Diavolessa?
Diavolessa wird ganz normal trainiert. Da wir keine Turniere haben, stehen nicht so häufig die Grand Prix Lektionen an. Sie hat Tage, wo sie ganz frei hat, geht grasen, spazieren. An diesen Tagen wird nur wenig trainiert, z.B. im leichten Sitz über den Platz galoppiert. Das findet sie ganz schön. Oder einmal ums Feld gehen. Bei Turnieren werden schon einzelne Lektionen intensiver geübt und ich achte darauf, dass sie zum Zeitpunkt des Turniers eine gute Kondition für die Aufgaben hat. Jetzt geht es mehr darum, ihr gute Laune zu vermitteln und Basisarbeit zu machen.

Meinst du, Diavolessa bekommt etwas von der Krise mit?
Diavolessa hat nichts von der Krise mitbekommen. Sie hat ihre Kontakte wie immer. Ihre Pflegerin Alina, die uns hilft, wohnt am Stall. Sie ist sowieso da. Abends, wenn niemand mehr im Stall ist, geht sie oft noch mit den Pferden spazieren. Also ihr Personal ist da. Ich glaube, das Pferd ist jetzt noch besser zufrieden.

Haben die Einschränkungen auch Vorteile für deine Arbeit? Beschäftigst du dich jetzt mit Dingen, für die du sonst keine Zeit hast?
Der Vorteil ist, dass sich die Leute noch besser verteilen, und du hast im Training nur wenige weitere Reiter, meistens nur zwei in der Halle. Das ist schon ganz gut. Mehr Zeit als sonst habe ich nicht, denn ich arbeite ganz normal weiter. Ich komme jetzt mehr in der Mittagspause zum Lesen. Leute sind ja jetzt viel weniger da. Abends kann man nicht hinaus. Da schaue ich jetzt gern Videos von Turnieren und Lehrgängen, z.B. die Serie „Alte Meister“ bei ClipMyHorse oder Videos bei Youtube, wo ich noch etwas lernen kann.


April 2020 23Ein Gang durch die Felder: Gute Laune vermitteln

Fehlen dir die großen internationalen Turniere?
Ehrlich gesagt, ich mag es, nationale und internationale Turniere zu reiten. Ich liebe die Atmosphäre und das Adrenalin, das zum Wettbewerb gehört. Das fehlt mir momentan schon ein wenig. Es geht aber jetzt nicht. Dann müssen wir ohne Turniere leben. Wir können an den anderen Dingen arbeiten. In der aktuellen Situation ist für mich vielleicht der Zeitpunkt nicht optimal. Diavolessa ist ein wenig speziell, was die Hallenturniere angeht. Sie zeigt sich draußen viel lieber als in der Halle. Das gilt auch zu Hause, wo sie auf dem Außenplatz viel besser geht. Daher hatte ich gehofft, dass wir in der grünen Saison wieder etwas mehr Leistung zeigen können. Jetzt ist es wahrscheinlich so, dass die Turniere erst im Herbst in der Halle anfangen und die grüne Saison ganz ausfällt. Das ist für mich ein bisschen unglücklich.

Welchen Tipp hast du für die vielen pferdebegeisterten Jungen und Mädchen, die jetzt keine Reitstunden nehmen können und ihre Pferde vermissen?
Das kann ich gut nachvollziehen. Die Pferde fehlen einem. Was kann man machen? Zum Beispiel kann man Bücher zum Thema Pferd lesen. Man kann sich theoretisch fortbilden oder Videos gucken. Es gibt Anbieter, die jetzt Videos ohne Bezahlung ins Netz stellen. Das finde ich sehr nett. So kann man z.B. gut das Auge schulen.

Hältst du den Vorschlag, Wettbewerbe im Pferdesport ohne Publikum unter Einhaltung der Sicherheitsbeschränkungen durchzuführen und nur im Internet zu übertragen, für sinnvoll?
Turniere online zu veranstalten, halte ich nicht für sinnvoll. Dazu hat sich schon die Bundestrainerin Monica Theodorescu* geäußert. Ich teile ihre Meinung hundertprozentig. Unter Internet-Bedingungen geht das nicht. Man kann kein Abreiten sehen, keine Dopingkontrolle, man sieht nicht den Zustand des Pferdes. Auf kleiner Basis – etwa für eine Stallgemeinschaft – kann man das vielleicht probieren. Die Trainer können ein Video als eine Art Hausarbeit ansehen.

Was glaubst du, wie wird es weitergehen?
Das kann keiner sagen. Wir geben uns Mühe, die Maßnahmen einzuhalten, damit wir schnell aus der Krise herauskommen.

Was sagt eigentlich Dia zur Corona-Krise?
Gar nichts. Corona ist kein Pferdevirus. Sie freut sich über den Frühling. Schauen wir mal, wenn es zu den Turnieren geht, ob sie dann wieder voller Vorfreude auf den Hänger galoppiert.

* Monica Theodorescu hatte in einem Interview mit ClipMyHorse darauf hingewiesen, dass ein Turnier online nicht nachgebildet werden kann.